Hans Thomalla
Kaspar Hauser - Pressestimmen
Auch Thomallas zweites Musiktheater lebt von der hohen Kunst der Vokalkomposition. [...]
Schon „Fremd“, uraufgeführt 2011 in Stuttgart, war, so gesehen, eine Oper über die Oper (oder über das Nachdenken darüber), und das ist jetzt wieder der Fall. Auch „Kaspar Hauser“, dessen Libretto Thomalla nach Zeitzeugenberichten und nach den autobiografischen Notizen Hausers selbst verfasste, hätte den Titel „Fremd“ tragen können, und so darf man die wunderschönen Szenen, in denen Thomalla die Begriffe „Nichts“ und „Niemand“ mit zerbrechlichen, oft kaum hörbaren Klängen umkreist, als zentrale Momente des Stücks verstehen.
Sie sind dessen schönste. Thomalla erweist sich auch in diesem Stück wieder als Vokalkomponist von höchster Fantasie, Kraft und Qualität. Bei den (exzellent einstudierten) Ensembleszenen könnte man versinken in die fast erotisch wirkenden Reibungen und dichten Kreuzungen der Gesangslinien, die sich, oft unbegleitet, zu amorphen, irisierenden Klangflächen fügen. Kompositionstechnisch beweist das Stück ebenso höchstes Niveau wie in seiner Art des Nachdenkens über die Musikgeschichte. [...]
[Die Inszenierung] lässt Platz für eine Musik voller Gedanken und schöner Stellen.
Der Abend macht Eindruck. „Kaspar Hauser“ ist ein starkes Stück.
Stuttgarter Zeitung
Thomalla macht als Librettist seiner rund 90-minütigen Oper genau das Richtige: Er interpretiert nicht, er verfasst keine Handlung, sondern er collagiert. Alles auf der Basis von Originalzitaten. Dass sich aus dieser "Nicht-Geschichte" (Thomalla) in ihrer zwischen Realismus und Surrealismus schwankenden Szenenkomposition gleichwohl eine künstlerische Stellungnahme des Autors ergibt, ist eine ganz andere Sache und zeigt, dass Thomallas Konzept funktioniert. [...]
Die Klangsprache ist komplex, anspruchsvoll und fordert dem Hörer hohe Konzentration ab. Doch sich darauf einzulassen, lohnt. Die jedem Akt implantierte, mit "Riss" betitelte Sequenz, in der Kaspar Hauser seine Reflexionen wie einen inneren Monolog offenlegt, berühren zutiefst in ihrer Differenziertheit. Hier ist es an der Zeit, Xavier Sabatas Kaspar Hauser-Darstellung zu applaudieren. Dass der Komponist die Partie für Countertenor schrieb, ist nachvollziehbar; dass er sie speziell für den Spanier verfasste, noch weit mehr. Die Modulationsfähigkeit dieser Stimme, ihre Souveränität im Umgang mit avantgardistischen Gesangstechniken, vor allem aber ihr androgyner Klang drücken der Figur einen unverwechselbaren Stempel auf.
Aber auch das gesamte Vokalensemble gibt Anlass zur Begeisterung, was umso höher einzuschätzen ist, als hier ausschließlich hauseigene Kräfte am Werk sind. [...]
Nicht hoch genug rühmen kann man Daniel Carters umsichtiges und präzises Dirigat. Und auch was das Philharmonische Orchester mit den rhythmischen Vertracktheiten und klanglichen Extravaganzen der Partitur anstellt, ist auf der Höhe dessen, was in den Zentren der Musica-nova-Interpretation geschieht. [...]
Wie gehen wir um mit dem Fremden in unserer Gesellschaft? Gerade dann, wenn es aus dem Schlamm zu kommen scheint. Man schaue nur auf die traurigen Bilder vom Flüchtlingslager Idomeni und die aktuelle Eskalation dort. Oder, dringend zu empfehlen, man besuche diese tief berührende Produktion.
Badische Nachrichten
[...]
Die von Thomalla postulierte Biographielosigkeit Hausers konzentriert sich im Wörtchen „nichts“. Der Laut „ch“ schält sich gegen Ende der Aufführung als das vokale Herzstück heraus, während das Philharmonische Orchester Freiburg unter Leitung seines neuen ersten Kapellmeisters Daniel Carter konsequent an den Rand des Schweigens gebracht wird, indem es die unendlich weit gespannten Decrescendi mit anschließender Pause verfolgt oder aber lange auf einem Ton stehenbleibt.
Kunstvolle Mikrotonalität, auch einige tonale Einsprengsel bilden einen fragilen, den Ohren schmeichelnden Orchestergrund, aus dem sich einzelne Instrumente wie die schnarrende Harfe, aber auch Saxophone, Posaune, Trompete, und Akkordeon punktuell hervortun. Freilich, im Vokalen bleibt es nicht bei der reinen Hauser-Projektionsfläche, vielmehr schenkt Thomalla seinen Protagonisten in drei sogenannten „Rissen“ doch noch eine eigene musikalische Physiognomie. [...]
Thomalla hat, als ein Meister der Stimmbehandlung, alle Gesangspartien reich ausgestattet und speziell den Titelhelden einem kulturellen Aneignungsprozess ausgesetzt , vom konsonantischen Gestammel bis zur artifiziellen melodischen Linie, die selbst eine von weit herkommende Geschichte hat. Für die Geliebte, Karoline Kannewurf, komponierte Thomalla sogar eine regelrecht verführerische Musik, reich an Melismen und Allusionen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Physische Präsenz, gestische Energie, Zeichenhaftigkeit – immer wieder treiben die Töne in Extreme. Ein Ringen um jeden Klang, um jedes Wort.
Körper wird Musik, Musik wird Körper. [...]
Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Thomalla’schen Ästhetik, die in seinem ersten Bühnen- werk, der 2011 in Stuttgart herausgekommenen Medea-Oper «Fremd», deutlich wurde: die Doppelstrategie von Musik als Erzählung und Musik als Reflexion ihrer selbst. In «Kaspar Hauser» vollzieht sich das vielleicht noch unangestrengter und eleganter.
Vom Betreten des Zuschauerraums an hat die Urauführung am Theater Freiburg, eine Koproduktion mit Augsburg, eine bezwingende Kraft durch die Szene und ihre Darsteller – ein erneuter Ausweis der einmaligen Energieleistungen deutscher Theater auch abseits der Metropolen-Pole. [...]
Dieser kraftvolle, szenisch glänzend von Frank Hilbrich (Regie) und Volker Thiele (Bühne) entwickelte Abend wurde getragen von einem großartigen Ensemble in Mehrfachrollen als Nürnberger und Ansbacher Bürger. [...]
Das Fesselnde an dem gut 90-minütigen Abend [...] ist die Selbstverständlichkeit, mit der Thomalla bewährte Chiffren des Musiktheaters verwendet, den Zuschauer anspricht, ohne flach zu werden. Spricht der Bürgermeister Binder von Hausers «Herzlichkeit und Gutmütigkeit», setzt Thomalla als affektives Vorausecho – oder auch als Kommentar? – ein gestopftes Trompetensolo mit traurig-melancholisch fallender Quarte ein. Ebenso packend ist das zweite, die Akte zwei und drei verbindende, meisterliche Zwischenspiel, eine Klanginsel sotto voce.
Götz Thieme, Opernwelt
Foto(s): Maurice Korbel